„Ende eines Tabus – Männer erleben die Rolle des Gewaltopfers als schwere Belastung!“

„Ende eines Tabus – Männer erleben die Rolle des Gewaltopfers als schwere Belastung!“

Stellungnahme des Bundesforums Männer zu den Ergebnissen der Studie ‚Körperliche und psychische Gewalterfahrungen in der deutschen Erwachsenenbevölkerung‘

Das Robert Koch Institut hat aktuell neue interessante Ergebnisse einer Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) ‚Körperliche und psychische Gewalterfahrungen in der deutschen Erwachsenenbevölkerung‘ vorgelegt. Dabei wurde ein methodischer  Ansatz gewählt, der quer zum bislang vorherrschenden Diskurs zu dem Thema steht. Die Kontroverse um die Frage, ob „beide Geschlechter gleich häufig oder ob Frauen häufiger und schwerer als Opfer von Gewalthandlungen betroffen sind und ob Frauen auch oder sogar annähernd gleich häufig aggressiv und gewalttätig sein können wie Männer“ erscheint den Autoren und Autorinnen der Studie aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht wenig zielführend. Sie gehen vielmehr davon aus, „dass Gewalt als Risikofaktor für eine Vielzahl von körperlichen und psychischen, zum Teil lang anhaltenden Gesundheitsstörungen in den Gesundheitswissenschaften immer noch unterschätzt wird.“- gerade auch bei Männern!  Dabei sollte Gewaltausübung insgesamt sozial zurückgewiesen werden und den „Gewaltopfern – weiblichen und männlichen – effektive Unterstützung zuteil werden“ als auch den Tätern und Täterinnen eine angemessene psychosoziale Hilfe.

Im Rahmen des bundesweit repräsentativen Gesundheitssurveys wurden sowohl körperliche als auch psychische Gewalt als Täter- und Opfererfahrung bei beiden Geschlechtern in verschiedenen Sozialräumen erhoben. Ziel war es, die geschlechtsspezifischen Häufigkeiten und kontextspezifischen Verteilungen körperlicher und psychischer Gewaltopfererfahrung sowie Gewaltausübung in der deutschen Erwachsenenbevölkerung zu erheben und in den Zusammenhang mit Belastungs- und Unrechtserleben zu untersuchen.

Das Bundesforum Männer steht ein für die Überwindung von Gewalt als Instrument der Konfliktlösung, insbesondere in Beziehungen und Familienkonstellationen. Es fordert eine nachhaltige systemische Vernetzung von Opferschutz und Präventionsarbeit. Dabei setzt es sich vor allem für die Überwindung des Tabus des Mannes als Opfer von Gewalt ein. Geschlechterstereotype, die einseitige kollektive Rollenzuschreibungen bei Opfern und Tätern zementieren, sollen aufgedeckt und verändert werden. Das Bundesforum begrüßt daher die Studie des Robert Koch Institutes als einen wichtigen Impuls, das klassische Tabu des Mannes als Opfer von Gewalt endgültig zu überwinden.

Das Thema Gewalt steht für das Bundesforum Männer ebenfalls in einem engen Zusammenhang mit dem der Gesundheit. Hier setzt sich Das Bundesforum Männer für die körperliche, seelische und soziale Gesundheit von Männern und Jungen ein und unterstützt sie in ihrer Selbstsorge und sexuellen Verantwortung. Politik und Verwaltung, Forschung und Gesundheitswesen werden aufgefordert, männer- und geschlechterspezifische Gesundheit differenziert in den Blick zu nehmen und aktiv zu fördern. Diese Werte sind in der Plattform des Bundesforums Männer formuliert und spiegeln sich in der Arbeit der 31 Mitgliedsverbände wider.

Wichtige Ergebnisse:

In der Studie wurden insgesamt 5939 Frauen und Männern im Alter von 18 bis 64 Jah­ren zu ihren individuellen Er­fahrungen von körperlicher und psychischer Gewalt innerhalb der letzten 12 Monate (12-Monats Prävalenz) befragt.  Als wichtige Ergebnisse wurden dabei benannt:

  • Insgesamt waren im häuslichen Bereich (Partnerschaft, Familien) zwar  „Frauen tendenziell häufiger Opfer,“ zugleich waren sie  „jedoch  signifikant häufiger Täterinnen von körperlicher und psychischer Gewalt im häuslichen Bereich“.  Die Gewalterfahrungen von Frauen und Männern im häuslichen Bereich nähern sich insgesamt deutlich an. „Täterinnen und Täter ähneln sich hinsichtlich ihrer psychosozialen Charakteristika stärker, als bisher angenommen.“ Doch gegenüber dem gängigen Klischee erleben Frauen deutlich mehr psychische Gewalt durch den Partner. Männer gaben dagegen häufiger an, „im öffentlichen Raum sowie am Arbeitsplatz sowohl Täter als auch Täter gewesen zu sein“.
  • Am Arbeitsplatz sind von körperlicher Gewalt nur Männer betroffen (1%). Psychische Gewalt am Arbeitsplatz erlebten Männer (8,6%) und Frauen (9%) annähernd gleich häufig.
  • Bei der Gewalt im öffentli­chen Raum, ob von den Opfern unbekannten oder auch bekannten Tätern begangen, sind vorwiegend Männer Opfer als auch Täter. Diese Ergebnisse decken sich auch mit der polizeilichen Kriminalstatistik über angezeigte Gewalt.
  • Sowohl körperliche als auch psychische Gewaltopfererfahrungen werden insgesamt als sehr belastend erlebt, von Männern jeweils deutlich häufiger als von Frauen, welches als „Hinweis  auf eine fehlende sozial akzeptierte Opferrolle interpretiert werden kann“.

Unsere Einschätzung

Die in der Studie aufgezeigten Gewalterfahrungen von Männern und Frauen spiegeln mit Sicherheit nicht das gesamte Spektrum von körperlicher und psychischer Gewalt in Deutschland wider, insbesondere die Gewalterfahrungen von Jungen und älteren Männern fehlen aufgrund der im Gesundheitssurveys erfassten Altersspanne von 18 bis 64 Jahren. Vor dem Hintergrund der der Studie zugrundeliegenden These, dass Gewalterfahrungen ein Risikofaktor für eine ganze Reihe von psychischen und körperlichen, zum Teil lang anhaltenden Gesundheitsbeeinträchtigungen sein kann, ist eine Verlängerung der Spanne bei zukünftigen Erhebungen dringend geboten. Ebenfalls ausgeklammert wurde die sexuelle und sozial-relationale Gewalt als auch die Verknüpfung mit weiteren intersektionellen Kategorien wie gesundheitliche Verfasstheit, Ethnizität, sexuelle Orientierung.

Der von der Studie als Erkenntnisinteresse gewählte Public Health Ansatz und die erstmalige repräsentative Erhebung von körperlichen und psychischen Gewalterfahrungen von Männern und Frauen stellt eine gute Ausgangslage dar, zukünftige Erhebungen ohne ideologische Scheuklappen durchzuführen und, was noch wichtiger ist, präventive und beratende Maßnahmen so auszugestalten, dass allen Opfern von Gewalt, Männern und Frauen wirksame Unterstützung angeboten werden und auch Täter und Täterinnen psychosoziale Hilfe erhalten.

Damit sind dann auch wichtige Schritte eingeleitet, Männer als Opfer von Gewalt aus der Tabuzone herauszubringen und ihnen Verletzungsoffenheit und Schwäche zuzustehen.

Die Debatte um Männer als Opfer (und Frauen als Täterinnen)  muss stärker in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung als auch in der wissenschaftlichen Forschung geführt werden um blinde Flecken traditioneller Rollenaufteilungen zwischen Männern und Frauen aufzudecken und verbesserte und bedarfsgerechte Unterstützung und Hilfeangeboten für die männlichen (und weiblichen) Opfer zu entwickeln.

Unsere Forderungen

Auf der Grundlage der jetzt vorgelegten Ergebnisse und dem bisherigen gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Gewalterfahrungen von Männern und Frauen in Deutschland fordert das Bundesforum Männer folgende Maßnahmen ein:

  • Immer noch ist der Blick auf die Verletzbarkeit von Männern (und Jungen) durch stereotype männliche Rollen- und Selbstbilder versperrt. Was fehlt, sind belastbare Daten über den konkreten Unterstützungsbedarf von Jungen und Männern im Bereich Gewalterfahrungen als Opfer. Das Bundesforum Männer fordert eine repräsentative wissenschaftliche Studie zu Männern als Opfer von Gewalt.
  • Die Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen (z.B. Intergenerativ und Peer Gewalt) als auch von älteren Menschen bspw. in der Pflege müssen in den Studien über Gewalt und Gewalterfahrungen einbezogen bzw. entsprechend verknüpft werden. Insgesamt bedarf es einer intersektionellen Perspektive um die Wirkungen von und auf andere soziale Kategorien wie etwa sexuelle Orientierung, Gesundheit, Ethnizität besser analysieren zu können.
  • Es ist dringend erforderlich,  mehr Hilfsangebote und Beratung für Männer mit Gewalterfahrungen zur Verfügung zu stellen. Dabei ist besonderes Augenmerk auf geschlechtssensible Angebote für Männer zu richten, da die Geschlechterstereotype über die Opferrolle große psychosoziale Irritationen hervorrufen können.
  • Verbesserte Präventionsprogramme für Männer als Täter und Opfer von Gewalt, damit Krankenkassen und andere Institutionen und Vereine ihre Präventionsangebote an den Bedürfnissen von Männern ausrichten und auf deren protektiven Ressourcen aufbauen.
  • Verbesserung der Weiterbildung und Sensibilisierung für das Thema „Männer als Opfer von Gewalt“, z.B. bei der Aufdeckung und Beratung innerhalb von partnerschaftlicher Gewalt, für die in diesem Bereich professionell Tätigen, wie bei der Polizei, in der Sozialarbeit, psychologischen Betreuung und im medizinischen Bereich.

Quelle: http://www.bundesforum-maenner.de/2013/05/ende-eines-tabus-manner-erleben-die-rolle-des-gewaltopfers-als-schwere-belastung/