Häusliche Gewalt gegen Jungen und Männer
Männliche Gewaltopfer unversorgt
Ein Tabuthema: selten äußern sich Männer über Gewalterfahrungen. In Leipzig klafft in der Opferberatung für Jungen und Männer eine große Lücke. Franz Eder von der Opferhilfe Sachsen spricht über Erfahrungen aus der Beratung männlicher Gewaltopfer.
Während Gewalt gegen Frauen ein viel beachtetes Thema ist, führen Männer, die zu Opfern werden, in der Regel ein Schattendasein. Das Motto „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ suggeriert es bereits: Männer und Jungen äußern sich selten über Gewalterfahrungen. Die Opferhilfe Sachsen und auch die Organisation Frauen für Frauen bieten auch Männerberatungen an. Damit sind sie jedoch allein auf weiter Flur: bislang gibt es in Leipzig kein speziell auf männliche Gewaltopfer zugeschnittenes Beratungsangebot. Franz Eder von der Opferberatung Sachsen sagt, das Problem sei nicht, dass Männer und Jungen nicht über Gewalt sprächen, sondern eine Aushalten dieser ein ungeschriebenes gesellschaftliches Gesetz sei.
Geringere Verletzungsoffenheit
Spezifisch für den Umgang von Männern und Jungen mit erfahrener Gewalt sei deren geringere Verletzungsoffenheit. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Gewalterfahrungen in etwas Positives uminterpretiert werden. Die unterschiedlichen Sozialstrukturen in Männerumwelten im Vergleich mit Frauenumwelten ließen zudem weniger Vertrauenspersonen zu – und somit weniger Möglichkeiten für das Mitteilen von erlittener Gewalt. In vielen Fällen liege das Problem sogar noch eine Ebene darunter: Jungen und Männer stünden sich die ihnen angetane Gewalt oft gar nicht zu. Die Gründe lägen in der Sozialisation männlicher Personen: ihnen werde oft vermittelt, dass sie aus Konflikten als Sieger herausgehen sollten.
Keine Beratungsangebote für Opfer männlicher Gewalt
Öffentliche Beratungsstellen begünstigen diese Umstände nicht gerade, denn oft dominiert bei Opferberatungen zu häuslicher und sexualisierter Gewalt ganz klar der Frauenbezug. Das wirke auf männliche Opfer häuslicher Gewalt abschreckend. Außerdem führen die Erfahrungen aus der Frauenarbeit der letzten 20 bis 40 Jahre in der Männerberatung auch nicht in die richtige Richtung, betont Franz Ebert. Männer hätten andere Gewalterfahrungen in anderen Kontexten. Auch im Kontext der häuslichen Gewalt ergäben sich Unterschiede. Körperverletzung durch den Partner spiele bei Männern eine weniger große Rolle als bei Frauen. Das Problem liege hier vielmehr in der psychischen Gewalt in Partnerschaften, in denen zum Beispiel Abhängigkeitsverhältnisse bestünden oder Männer von ihren Partnerinnen beleidigt und belästigt würden.
Ein Drittel der ratsuchenden Gewaltopfer männlich
Besonderen Beratungsbedarf sieht Franz Ebert zudem in bestimmten Szenen. Die Schwulenszene beispielsweise sei noch weiter von öffentlichen Beratungsstellen entfernt, als es männliche Gewaltopfer ohnehin schon sind. 2013 kamen ca. 400 Ratsuchende zur Opferhilfe Leipzig, davon waren ein Drittel männlich. Diese Zahl bezieht sich auf alle Deliktbereiche, also nicht ausschließlich auf häusliche und sexualisierte Gewalt. Durch seine Arbeit mit den Opfern sieht Franz Ebert die Vermutung bestätigt, dass unter Jungen und Männern nicht ausreichend für das Thema sensibilisiert werden: oft zeigen sich die Opfer verwundert und erstaunt über das entgegengebrachte Verständnis.
Männliche Opfer konkret ansprechen
Der 2011 gegründete Arbeitskreis Elura richtet sich ganz speziell an männliche Opfer von sexualisierter und häuslicher Gewalt und Stalking. Die Mitglieder stammen aus ähnlichen Arbeitskreisen, in denen die Mitarbeiter festgestellt haben, dass männliche Opfer eigentlich nie zur Zielgruppe der Beratung gehörten. Elura möchte also gezielt die Beratungslücke für männliche Gewaltopfer in Leipzig aufmerksam machen. Insbesondere geschieht das in Zukunft durch optimierte Öffentlichkeitsarbeit, indem die Organisation zum Beispiel auf den Flyern ganz konkret männliche Opfer auf das Beratungsangebot aufmerksam machen will. Ein weiteres Projekt ist das Etablieren von Männerschutzwohnungen, einem Pendant zum Frauenhaus.
Männerschutzwohnungen einrichten – ein „Ding der Unmöglichkeit“
Heute früh fand darüber hinaus im Neuen Rathaus in Leipzig ein Netzwerktreffen von Elure statt: Gewalt gegen Jungen und Männer. Es waren ca. 20 Personen aus Straßen- und Sozialarbeit, vom Verein Frauen für Frauen, der Opferhilfe Sachsen, dem Täterprojekt Isona sowie Vertreter des Kinderschutzzentrums, Rechtsanwälte der Nebenklage, aus Polizei und Schulsozialarbeit anwesend. Die Idee von Männerschutzwohnungen, auch für Mann mit Kind, fand auf dem Netzwerktreffen laut Franz Ebert überall Anklang. Im öffentlichen Diskurs jedoch sei kaum Sensibilität vorhanden. Deswegen ist das Projekt für ihn immer noch vor allem eins: ein „Ding der Unmöglichkeit“.
Fakten zur Gewalt an Jungen und Männern
Männerhäuser gibt es bisher nur in Oldenburg und Berlin. Ehemänner, die es zu Hause nicht mehr aushalten, dürfen dort für ein paar Tage, Wochen oder für ein halbes Jahr unterkommen, bis sie etwas neues gefunden haben.
Bundesweite Statistiken haben ergeben, dass 9 bis 11 Prozent der weiblichen Bevölkerung Opfer von sexualisierte Gewalt sind. Im Vergleich dazu sind es 6 Prozent der männlichen Bevölkerung. Bei Gewalttaten aus anderen Kontexten ergeben sich sogar 70 Prozent männliche Opfer gegenüber 30 Prozent weiblicher Opfer. Die Täter sind sind hier in den meisten Fällen männlich.
Ziel des AK Elure ist es, orientiert an den Bedürfnissen der von Gewalt betroffenen Jungen und Männer, vorhandene Hilfsangebote zu koordinieren und gegebenenfalls neue ins Leben zu rufen. Er will die Problemfelder „sexualisierte sowie häusliche Gewalt“ und „Stalking“ thematisieren und für Jungen und Männer Wege zur Hilfe, Entlastung und Mobilisierung der eigenen Ressourcen präsentieren.
Eine Pilotstudie zum Problem „Gewalt gegen Männer“ hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im September 2004 abgeschlossen. Nähere Infos gibt es hier
Dana Zimmermann
Quelle: http://mephisto976.de/news/23988/ abgerufen am 23. April 2014, 14:24 Uhr